Das Ich ist im Fluss

Was ist das ICH?

Kurze Vorbemerkung: Ich weiß, es ist schon irgendwie bescheuert, seine eigenen Gedanken und Gedichte zu analysieren. Das gebe ich zu. Aber ich tue es trotzdem. Also bitte nur weiterlesen, wenn du dich dafür interessierst, wie Bewusstsein funktioniert und ein paar bittere Wahrheiten über dein „Ich“ vertragen kannst.

Das Ich erzählt immer eine Geschichte

Der Grundgedanke von meinem Reim „Alles ist im Fluss“ ist schnell erklärt. Was ist das „Ich“? Wo findet es sich? Seit die Menschen über sich selbst und ihre Rolle in der Geschichte nachdenken, suchen sie nach diesem Ich. Aber die moderne Wissenschaft zeigt ziemlich überzeugend, dass es dieses einzigartige Ich-Zentrum in unserem Gehirn gar nicht gibt. Es scheint vielmehr, als ob wir das hineingedichtet haben. Aber: „Ich fühle doch, dass es mich gibt“ wirst du sagen. Das ist richtig. Dein Körper schickt dir nonstop Informationen über deine Umwelt, welche von deinem Gehirn analysiert werden. Aber nicht du entscheidest, was du tust. Das macht dein Körper im Zusammenspiel mit deinem Gehirn von ganz allein. Denn dazu wurde es von der Natur konstruiert. Es ist ein bisschen so, als ob du atmest, spazieren gehst, Fußball spielst oder musizierst. Wenn du „im Flow“ bist, spürst du gar kein Ich. Dein „Ich“ meldet sich immer nur zu Wort, wenn es eine Geschichte zu erzählen gibt. Wenn du dir selbst oder anderen deine (subjektive) Wahrnehmung erklären willst. Dann sagst du stolz: „Ich habe dies und jenes gemacht, um das zu erreichen…“ Komisch, oder? Immer bist du der Held (das Subjekt) deiner Geschichte. Immer macht das, was du tust, Sinn. Aber diese Erklärung dessen, was passiert ist, wird von deinem Gehirn erst nachträglich produziert. In dem Augenblick, in dem du etwas erlebst, gibt es noch keine Ich-Geschichte. Die entsteht erst kurz danach.

Der Freie Wille ist ein Fake

Leider heißt das auch, dass die Idee vom „Freien Willen“ ein Fake ist. Wir haben keinen freien Willen. Wenn ich etwas tue, dann weil mein Körper und Gehirn das für eine gute Idee halten. Das Ich verkauft es dann als seine Geschichte. Irgendwie macht mich das schon immer traurig. Eigentlich bin ich ein großer Fan von Freiem Willen, von Freiheit, von Selbstbestimmtheit. Ich habe immer fest daran geglaubt, dass ich als Kreativer ein Schöpfer bin – und das ich mich selbst nach meinen Vorstellungen frei ausleben kann. Alles Quatsch. Ich kann zwar kreativ sein – aber ich bin immer nur ein Glied in einer endlosen Kette. Wenn ich also ein Buch lese, zum Beispiel Homo Deus von Yuval Harari und darin lese, es gibt kein Ich, es gibt nur Wünsche, die spontan entstehen, in einem endlosen Bewusstseinsstrom; wenn ich dann mein Notizbuch nehme und versuche, meine Gedanken und Gefühle zu sortieren, in Worte zu fassen, dann bin ich durch all das beeinflusst, was um mich herum ist.

Ich fische im Trüben

Nicht das Ich entscheidet, welche Worte mir für mein Gedicht einfallen. Nicht das Ich wählt aus, welche Reime ich gut finde. Das passiert von selbst, während ich auf den Strom schaue, der in meinen Kopf schwimmt. Und während darin Fetzen von Ideen aufblitzen und Worte wie kleine Fische aus dem Nichts auftauchen, bewegt sich meine Hand, um ein paar von den kleinen Geschöpfen aus dem Wasser zu fischen, bevor sie weiterschwimmen. Das ist schon alles. So entsteht jedes Gedicht, jedes Lied, jedes Bild: Aus einem endlosen Fluss zieht man ein paar Dinge raus. Eigentlich könnte man sogar sagen, dass die Dinge sich selbst aus dem Fluss ziehen. Mir kommt es nur so vor, als halte Ich ich die Angel. (Das machen Muskeln, Knochen und Synapsen von ganz allein.) Mir kommt es nur so vor, als hätte ich den Ort und den Zeitpunkt ausgesucht. Und das Beste ist: Es fühlt sich für mich auch so an! Das ist der Spitzentrick der Evolution. Wie der Fischer freue ich mich, wenn mir etwas geglückt ist. Und weil ich diese guten Gefühle in meinem Körper verspüre, fühle ich mich bestätigt und rufe voller Freude: „Das war ich!“.

Ein jeder ist ein Teil der Welt, für deren Schöpfer er sich hält.

Was ist also das Ende vom Lied? Ich muss mich in Demut üben. Das ist ein altes Wort und bedeutet, dass ich mich nicht so wichtig nehmen darf. Das „Ich“ ist viel weniger wert, als wir im normalen Leben annehmen. Letzten Endes sind wir Menschen auch nur Tiere, intelligente Affen, die gelernt haben zu angeln. Ohne das Universum, ohne die Sonne, ohne Bäume und Flüsse, gäbe es weder Fische, die lange vor uns Menschen existierten, noch uns Menschlein. Wir sind ein Teil der Welt. Ich bin ein Teil der Welt – untrennbar mit ihr verbunden. Und diese Demut kann uns helfen, jetzt die richtigen Entscheidungen zu treffen, um den Klimawandel aufzuhalten und den Planeten zu retten, auf dem wir leben. Also: Macht weiter so! #FridaysForFuture

Lesetipp: Übrigens gibt es von dem Buch „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ von Yuval Noah Harari schon eine Comic-Fassung, die auch für Kinder durchaus lesenswert ist:

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